Fokus Fleisch: Frau Dr. Harstick, den Ankündigungen von Aldi und anderen Supermarktketten müssen nun Taten folgen. Was sind aus Ihrer Sicht die nächsten nötigen Schritte?

Dr. Harstick: Die Ankündigung von Aldi und anderen Einzelhändlern ist erst einmal zu begrüßen, weil es ein Bekenntnis zu tierwohlgerechteren Haltungsformen ist. Eine Ankündigung allein wird allerdings nicht ausreichen. Als Initiator muss sich Aldi nun seiner Verantwortung stellen und beweisen, dass sie es ernst meinen mit der Ankündigung in Zukunft nur noch Fleisch der Tierhaltungsstufen drei und vier zu verkaufen. Der Zeitplan, dies bis zum Jahr 2030 umzusetzen, ist ambitioniert.

Die Landwirte müssen ihre Stalllungen entsprechend neu- oder umbauen. Das geht nicht von heute auf morgen. Das Baurecht müsste angepasst werden, denn viele Landwirte haben aufgrund des aktuellen Rechts gar nicht nicht die Chance offene Ställe zu bauen. Außerdem muss für jede Umbaumaßnahme eine Baugenehmigung nicht nur beantragt, sondern auch erteilt werden. Die derzeitigen Genehmigungsverfahren ziehen sich teilweise über Jahre hin. Auch an dieser Stelle müsste es eine Beschleunigung der Genehmigungspraxis geben. Die Politik ist am Zuge, das Baurecht und die Verfahren zu ändern, damit die gewünschten Tierhaltungsformen anwendbar werden.

Dies ist auch ein elementarer Bestandteil der Forderungen, die die Borchert-Kommission erarbeitet hat. Es ist das gemeinsame Interesse der Nutztierhalter, der Einzelhandelsketten und der Fleischwirtschaft, dass die Politik nun die nötigen Rahmenbedingungen schafft.

Fokus Fleisch: Welche Voraussetzungen müssen noch erfüllt sein?

Dr. Harstick: Die Fleischwirtschaft muss in die Pläne von Aldi bzw. der Einzelhandelsketten einbezogen werden. Dies kann z.B. über langfristige Liefer- und Abnahmeverträge für das geforderte Frischfleischsortiment erfolgen. Mit festen Preisaufschlägen, die dann sämtliche Mehrkosten für das gesamte Tier abdecken müssten. Also auch für die Teile von Schwein und Rind, die Aldi nicht abnimmt. Die Mehrkosten, die bei den Tierhaltern und in den Fleischunternehmen entstehen, müssen selbstverständlich bezahlt werden, ansonsten kann das nicht funktionieren. Ob Aldi dafür die Preise anhebt oder seine Marge verringert, liegt in der Entscheidung von Aldi bzw. der jeweiligen Einzelhändler.

Erst wenn verbindliche Zusagen des Einzelhandels an die Fleischunternehmen erfolgen, können diese wiederum auf die Tierhalter zugehen, um die Umsetzungsmöglichkeiten und Bedingungen für Haltungsformen und Tieranlieferungen mit ihnen zu vereinbaren.

Es erscheint auch etwas inkonsequent, wenn Aldi die Haltungsformen drei und vier allein für Frischfleisch vorsieht. Ein großer Teil der Fleischerzeugung geht in die Weiterverarbeitung – warum nicht auch Wurst und Schinken mit Haltungsform drei und vier? Wenn Aldi seine Forderung auf Fleischwaren ausdehnen würde, könnten zudem die Preiserhöhungen für einzelne Fleischprodukte geringer ausfallen, weil die zusätzlichen Tierhaltungskosten dann auf ein breiteres Produktsortiment verteilt werden könnten.

Fokus Fleisch: Kritische Stimmen fordern zeitgleich ein Importverbot für günstiges Fleisch. Sie befürchten, dass die Einzelhandelsketten günstiges Fleisch importieren, um auch in Zukunft preisgünstige Fleischangebote machen zu können. Ist die Befürchtung berechtigt?

Dr. Harstick: Das liegt allein in der Verantwortung der Lebensmittelhändler. Sie müssen den Verbraucher davon überzeugen, dass das Plus an Tierwohl nicht kostenlos zu haben ist. Grundsätzlich sind wir für internationalen Handel mit fairen Regeln. Wenn andere Länder mit denselben Tierhaltungsanforderungen günstiger produzieren können, dann gibt es keinen Grund für Importbeschränkungen. Außerdem haben wir einen EU-Binnenmarkt und eine gemeinsame EU-Außengrenze. Deutschland kann und darf gar keine Importbeschränkungen erlassen.

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